Änderungen für die zweite Auflage
Thomas Gehrmann & Ursula Steinbach
Gehen mit dem Geist. Ein Lehrbuch für das geistige Familienstellen nach Bert Hellinger
Verlag ism Kassel, Feb. 2015
Im Kapitel „Wenn ihr so alt seid wie ich …“ haben wir einen sachlichen Fehler gefunden und korrigiert. Dort heißt es: „Für die geistige Arbeitsweise brauchen wir nicht weniger Wissen als Weisheit.“ Das Gegenteil sollte gesagt werden:
Für die geistige Arbeitsweise brauchen wir weniger Wissen als Weisheit.
In das Kapitel Übungen und Meditationen haben wir einiges gestrichen und folgendes neu eingefügt:
Manchmal fordert Hellinger die Teilnehmer bei einer Übung ausdrücklich auf, nicht in die Bewegung zu gehen, sondern nur im Augenkontakt zu bleiben und zu beobachten. Das ist manchmal schwer, fast unmöglich durchzuhalten, weil die Übungspartner ja unweigerlich in einem Aufstellungs-Feld stehen und von ihren inneren Impulsen in eine Bewegung gedrängt werden. Warum ist es trotzdem sinnvoll, bei der unbewegten Beobachtung zu bleiben?
Erstens ist das eine Übung, die uns hilft zu unterscheiden, wann wir als Stellvertreter aus unserem eigenen Gewissen heraus handeln, weil wir gut sein und Gutes tun wollen, und wann wir aus den tief empfundenen inneren Impulsen der Rolle heraus bewegt werden. Dazu muss man nämlich erst einmal beobachten: Was geht in mir vor?
Zweitens ist der reine Bezug eine hohe Disziplin, dem eine eigene Macht zur Veränderung innewohnt. Denn wir üben dabei, reiner Beobachter zu bleiben. Das ist es, was alle großen Meditationslehrer lehren – und wenn ich hier von Meditation rede, meine ich keine geführten Meditationen oder „Innenreisen”: Was immer um dich herum geschieht, bleibe innerlich still in deiner unbewegten Mitte. Bleibe Beobachter, vor allem auch Beobachter deiner Gefühle und Impulse, ohne dich von ihnen erfassen zu lassen. Wenn du dich auf den reinen Bezug einlassen kannst, wird es dich verändern. Und dann wirst du dort, wo du wirklich gefordert bist, anders wirken.
Das Kapitel Hinwendung zur geistigen Ebene ist bis auf zwei Absätze neu formuliert:
Das „ferne Licht“ in einer Übung oder Aufstellung mit aufzustellen, ist ein Kunstgriff, durch den eine Aufstellung sofort von der Ebene des Gewissens auf eine höhere gehoben wird. Im Angesicht des fernen Lichtes verlieren die Unterscheidungen und Urteile des Gewissens sofort ihre Macht. Es macht uns andächtig und still.
Mit der Einführung des „fernen Lichtes“ oder der „leeren Mitte”1 fand die Entwicklung der „Bewegungen des Geistes“ als besondere Vorgehensweise der Aufstellungsarbeit eine gewisse Vollendung, auch Abschluss, einen Höhepunkt, der es zum Beispiel möglich machte, dazu ein Lehrbuch zu verfassen.
Allerdings hat Hellinger schon vor vielen Jahren ähnlich gearbeitet. So schlug Hellinger Partnern in einer Paarbeziehung den Satz vor: „Ich liebe dich und das, was dich und mich führt.“ Das war in etwa das Gleiche wie nun „das ferne Licht“. Auch, wenn er „das Schicksal“ einer Person in Gestalt eines Stellvertreters dazu stellte oder „den Tod“, bekam die Aufstellung immer eine andere, eine höhere Qualität.
Man kann also sagen, dass viele Systemaufsteller, die damals bei Hellinger gelernt haben und ebenfalls gelegentlich den Tod oder das Schicksal mit aufstellen, auch „mit dem Geist gehen“. Selbst wenn sie sich nicht bewusst machen, was sie damit tun, so verlassen sie damit doch die systemische Ebene und verweisen auf eine höhere Macht, über die wir nicht verfügen können.
Den Tod, das Schicksal oder das ferne Licht aufzustellen, ist ein Kunstgriff. Das, wofür sie stehen, bleibt unserem Verstehen entzogen. Die Bilder sind für uns hilfreich, denn sie machen für uns etwas sichtbar, fast greifbar. Doch wir sollten nicht zu fest zugreifen. Hellinger: „Sobald du das fassen willst, hast du etwas in der Hand. Und wenn du sie aufmachst, ist nichts da. Solange wir uns konkrete Dinge vorstellen, wie ein Licht, das leuchtet, kann es nichts Unendliches sein. Sobald wir diese Bilder vom Licht konkret nehmen, ziehen wir sie herab in unseren Griff. Und dann werden sie dunkel.“2
Stark umgebaut sind die ersten 2½ Seiten von Teil 11, Womit fangen wir an? Das sind die Kapitel Das Symptom als Wegweiser, Die Stellvertreter ermutigen, Gute Wahrnehmung.
Das alte Kapitel an dieser Stelle, Wie fangen wir an?, erscheint jetzt in anderer Reihenfolge, teilweise gekürzt und mit neuen Absätzen wieder ergänzt. Es entfällt dafür das Kapitel Gute Wahrnehmung Sn. 106f, alte Auflage.
Neu in: Welche Informationen brauchen wir?:
Manchmal fragt Hellinger den Falleinbringer etwas, und manchmal fragt er überhaupt nichts. Nicht einmal, was das Anliegen ist. Als Hellinger diese Vorgehensweise vor etwa 10 Jahren erstmals zeigte, war unser Erstaunen groß. Wie geht das? Wie fängt man das an?
Am letzten Tag einer Ausbildungsgruppe, die ich 2006 mit einer Kollegin in Berlin anleitete, gab ich den Teilnehmern einfach die Aufgabe, Aufstellungen nur ihrer Intuition folgend anzuleiten, ohne das Anliegen zu erfragen. Was ich nicht dazu sagte: Ich hatte es selbst noch nie gemacht. Sie waren auch ohne dem etwas schockiert. Aber ich traute ihnen zu, dass sie es können. Und sie haben es gemacht. Diese Aufstellungen waren von ungewohnter Wucht, eine äußerst beeindruckende Erfahrung für alle. Und wer als Aufsteller die Erfahrung gemacht hat, dass er so arbeiten kann, hat alles, war er braucht um zu beginnen.
Hellinger selbst macht es mal so und mal so, und im Folgenden stellen wir Beispiele vor, in denen Hellinger durchaus Fragen stellt. Im Lauf der Jahre sieht man bei ihm die Tendenz, immer weniger oder auch gar nichts zu fragen. Doch es ist kein Dogma, dass man so vorgehen müsste. Niemand muss sich zum Maßstab setzen, wenn Hellinger das so macht, müsse er das auch so machen. Allerdings, auch wenn Hellinger sich anhört, was der Falleinbringer vorträgt und vielleicht auch Fragen dazu stellt, werden wir immer finden, dass er sich auf das Wesentliche beschränkt.
Das vormalige Kapitel „Ich bleibe“ und, dahinter, die vormaligen Kapitel Den Zug zum Tod aufdecken und „Nein, ich tue es nicht“ sind neu aufgeteilt.
Die ersten beiden heißen jetzt Gegen den Zug zum Tod: „Ich bleibe!“ und Verschiebung auf die nächste Generation.
Eingefügt am Ende von Gegen den Zug zum Tod: „Ich bleibe!“ ist folgender Absatz:
Eine dritte Möglichkeit ist, den Stellvertreter der toten Person zu befragen. Wenn wir den Stellvertreter der Person, zu der es einen Lebenden hinzieht, befragt wird, ob er das möchte, dass der zu ihm kommt, wird er das in der Regel verneinen. (Eine Ausnahme von der Regel ist der Aufstellung Anhaftung der Toten, video 3.24, zu sehen.)
Eingefügt am Ende von „Nein, ich tu es nicht“ sind folgende Absätze:
Dieser Satz „Ich tu es nicht“ hat jedoch eine andere Qualität als frühere Sätze der Kraft. Mit ihm treten wir aus dem Bannkreis des kollektiven Gewissens heraus, in gewisser Weise auch aus den Ordnungen heraus. Dieser Satz oder die Sätze „Ich hier – du dort“ beziehungsweise „Ich für mich – du für dich“ sind keine typischen Sätze, die ein Kind zu seinen Eltern sagt. Sie sind auch nicht überheblich. Weder erfüllen sie die Ordnung, noch stehen sie für eine Unordnung.
Wenn jemand zu seiner Mutter sagt: „Ich für mich – du für dich“, dann spricht er nicht mehr als Kind zur Mutter, sondern als Mensch zu Mensch. So einen Satz sprechen wir nicht als Mitglied eines Familiensystems. Wir treten damit in gewisser Weise aus dem Familiensystem hinaus und stellen uns in eine andere Klarheit, aber auch in eine gewisse spirituelle Einsamkeit.