Manchmal kommen Stellvertreter am Ende einer Aufstellung schwer aus der Rolle. Das macht manchem Angst. Verändert die Rolle den, der in sie eintaucht? 2006 Manchmal geschieht es auch, wenn neue Leute zu mir zum Familienstellen kommen, daß sie nach einer Aufstellung heftig darauf drängen, ich solle irgendwelche Rituale machen, um die Stellvertreter wieder aus ihren „Rollen“ zu entlassen. Nicht, weil sie akut in einer „Rolle“ festhängen, aus der sie heraus möchten, sondern aus Prinzip. Sie haben das bei anderen Aufstellungsleitern so erlebt und sind nun überzeugt, das müsse so sein. Und manchmal reagieren sie fast entsetzt, wenn ich das nicht so mache.

Dahinter sehe ich zwei Motive: Erstens halten viele Kursteilnehmer (und Aufstellungsleiter sind in der Regel auch als Kursteilnehmer gestartet) das, was sie bei ihrem ersten Aufstellungsleiter erlebt haben, für richtig, und wenn sie später anderswo etwas abweichendes erleben, halten sie es für falsch. Das zweite Motiv ist, grob gesagt, daß sie es grundsätzlich vermeiden wollen, die besonderen Energien der Stellvertreter-„Rolle“, in der sie gerade gestanden haben, länger zu spüren als die Aufstellung im engeren Sinne dauert.

Ich „entrolle“ die Stellvertreter in der Regel nicht. Es sei denn, jemand meldet sich, daß er noch in einer „Rolle“ feststecke und äußert ausdrücklich den Wunsch, daß er (oder sie) gerne da heraus möchte. Oder ich sehe als Leiter nach einer Aufstellung, daß jemand „festhängt“. Dann frage ich, ob er noch in der „Rolle“ ist, und wenn ja, ob es für ihn in Ordnung ist, noch eine Weile darin zu bleiben, oder nicht. Wenn nicht, helfe ich ihm natürlich aus der Rolle.

Von den vier oder fünf Ritualen, die ich dafür kenne, ist mir jenes am liebsten, das ich Bert Hellinger abgeschaut habe: Ich lasse den Stellvertreter sich noch einmal hinstellen, sich die Person vor sich stehend vorstellen, in deren „Rolle“ er gerade gestanden hat, und sich vor dieser Person mit dem Satz „Ich achte dich und dein Schicksal“ verneigen.

Auch wenn jemand, weil er oder sie meint, man müsse das grundsätzlich tun, danach verlangt, „entrollt“ zu werden, fange ich keinen Glaubensstreit an, sondern tue das, selbst wenn es mich grämt. Es grämt mich dann, wenn ich den Eindruck habe, daß sich jemand von dem möglichen Nachhall einer Rolle freimachen will, so als sei es eine Verunreinigung, von der man sich säubern müsse. Als ob wir alles Recht hätten, im Feld einer Aufstellung andere Personen, lebende oder tote, aufzurufen und wieder fortzuschicken nach unserem Belieben.

Ich halte es für denkbar, daß diese Heftigkeit, mit der bisweilen (wie oben beschrieben) nach einem „Entrollungs“-Ritual verlangt wird, in einem halb wohligen, halb ängstlichen Grausen begründet liegt, mit dem wir in das „Feld“ eintauchen – also in einen Raum, den wir nicht verstehen und eventuell auch nicht verstehen können.

Ich vermute, daß  deshalb auch der gängige Begriff vom „wissenden Feld“ so beliebt ist. Diese Formel reduziert das Große und Gewaltige, auf das wir uns mit der Aufstellungsarbeit einlassen, auf etwas, was man wissen und damit handhaben könnte. Als ob es sich bei dem „Feld“ um ein Instrument handele, das wir nach Belieben benutzen und wieder weglegen könnten: Eine Datenbank, die wir anschalten können, um „Wissen“ abzurufen, und dann wieder abschalten, wenn wir es nicht mehr brauchen. Mit Wissen (oder was wir dafür halten) fühlen wir uns sicher.

Dualität und Einssein

Bei dem, was Bert Hellinger „Bewegungen des Geistes“ nennt, kann ich nicht recht folgen – sei es, weil ich die Begriffe „Geist“ und „Seele“ teilweise anders verwende, sei es, weil ich es einfach (noch) nicht verstehe, was er damit beschreibt. Ich sehe mich aber grundsätzlich einig mit ihm darin, daß die Aufstellungsarbeit uns zu der verborgenen Harmonie hinter den vordergründigen Gegensätze hinführt. Beginnend mit der Annahme der eigenen Eltern, so wie sie sind, ist es eine immer weiter führende Bewegung weg von Widerstreit hin zu Annahme, von der Getrenntheit zum Einssein – was Streit auf dem Weg dahin nicht ausschließt.

Als „Dimensionalität professionellen (psychotherapeutischen) Handelns“ beschreibt Wilfried Belschner 1 die Linie zwischen den Polen „Alltagsbewußtsein“ und „höheren Bewußtseinszuständen / Nondualität“. Für das, was er Alltagsbewußtsein nennt, zählt Belschner fünf Kriterien auf: 1. lineare Zeit, 2. dreidimensionalen Raum, 3. lokale Kausalität, 4. Subjekt-Objekt-Trennung und 5. konsistente Ich-Organisation. In Aufstellungen wird, wie mir scheint, dieses Alltagsbewußtsein grundsätzlich ausgehebelt.

Zu 1: Vergangenes wird in der Aufstellung gegenwärtig. In den Stellvertretern fühlen, denken und handeln auch längst verstorbene Personen hier und jetzt. Außerdem können Stellvertreter manchmal wahrnehmen, wie die Person, für die sie stehen, in wenigen Minuten vom Kind über den Jugendlichen zum Erwachsenen „heranwächst“. Daß Aufstellungen auch auf die Toten zurück wirken, können wir nicht beweisen, aber ich gehe davon aus, daß es so ist. Im „Feld“ der Aufstellung ist das, was in unserem Alltagsbewußtsein Vergangenheit ist, genauso gegenwärtig wie das, was uns Gegenwart ist.

Zu 2: der Raum der Aufstellung, das „Feld“, hat offensichtlich mehr Dimensionen als der Raum, das Zimmer, in dem wir die Aufstellung stattfinden lassen. Zu 3: Warum etwas in einer Aufstellung wirkt und von wo die Wirkung her kommt, können wir nur vermuten und vage beschreiben. Zu 4: In der Rolle als Stellvertreter bin ich gleichzeitig „ich“ und „nicht-ich“. Im Alltagsbewußtsein unterscheiden wir alle selbstredend zwischen „ich“ und „du“. Das ist für die Organisation unseres Alltags nützlich und nötig. Das verführt zu der Vorstellung, eine klare Identität zu haben und ein Selbst, das wir erkennen und verwirklichen könnten. Allein die Zweifel, die wohl jeder als Stellvertreter schon erlebt hat: Ist das, was ich gerade fühle, meines oder gehört es zur „Rolle“?, zeigen, daß in der Rolle als Stellvertreter die scheinbar sicheren Grenzen zwischen ich und du verschwimmen können.

Und damit kommen wir nun zu dem ganz kritischen Punkt 5, der „konsistenten Ich-Organisation“, also der Idee, als Stellvertreter könnte ich nach einer Aufstellung der Gleiche sein wie vorher. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß! Das funktioniert nicht. Gerade das Phänomen, daß Stellvertreter bisweilen in der „Rolle“ festhängen, gemahnt uns, daß wir uns mit der Aufstellungsarbeit auf einen Prozeß einlassen, den wir nur sehr begrenzt steuern können, in dem wir uns vielmehr von etwas Größerem steuern lassen. Die beliebten Konzepte vom „freien Willen“ und „persönlicher Identität“ werden hierbei deutlich relativiert.

Über östliche (indische) und westliche Konzepte von „Freiheit“ schreibt der indische Psychoanalytiker Sudhir Kakar (zitiert nach einem Vortrag von W. Belschner): „Menschliche Freiheit scheint also im traditionellen indischen Kontext eine Zunahme der Möglichkeiten zu bedeuten, unterschiedliche innere Zustände zu erfahren, während sie gleichzeitig das Handeln in der äußeren Welt auf Stereotype und fraglose Anpassung beschränkt. In Indien betont man das Streben nach innerer Differenzierung, während die Außenwelt konstant gehalten wird.

Im Gegensatz hierzu hängt die Vorstellung von Freiheit im Westen mit einer Zunahme des Handlungspotenzials in der Außenwelt und einer Erweiterung der Auswahlmöglichkeiten zusammen, während der innere Zustand des Menschen konstant gehalten wird, nämlich im Zustand eines rationalen Wachbewußtseins, von dem andere Weisen der inneren Erfahrung als Abweichungen ausgeschlossen sind.“

Die Idee, daß  wir durch das Instrument der Aufstellungen unsere Handlungsmöglichkeiten in der äußeren Welt erweitern und dabei in unserer inneren Verfaßtheit, dem, was wir „Identität“ nennen, unberührt bleiben könnten, ist unhaltbar. Das kategorische Verlangen nach „Entrollung“ erscheint in diesem Licht als ein Versuch, das Unhaltbare eben doch zu retten.

Ich habe 2005 an einem experimentellen Aufstellungsseminar teilgenommen, nach dem mehrere Teilnehmer, darunter auch ich selbst, für Wochen oder Monate zwar nicht im Feld einer einzelnen Aufstellung, aber im Feld des ganzen Seminar-Prozesses festhingen. Das war nicht immer schön, und ich hätte manches Mal gern auf diese Erfahrung verzichtet. Aber es fühlte sich für mich so an, als sei ich durch die „Rolle“, die ich in diesem Seminar hatte, auch über den Zeitraum des Seminars hinaus in Dienst genommen, damit ich etwas erledige.

Dieses Seminar habe ich mir ausgesucht, es ist in Ordnung für mich, und im Nachhinein möchte ich diese Erfahrung nicht missen. Das heißt natürlich nicht, daß  ich Kursteilnehmern, die ich nicht näher kenne, solch eine Erfahrung zumuten würde. Wenn ein Teilnehmer in einem meiner Kurse in einer Stellvertreter-„Rolle“ festhängt, dann helfe ich ihm da heraus, wenn er das möchte.

Grundsätzlich halte ich es für eine Frage des Respekts vor der Person (oder Wesenheit), in deren Leben (oder andere Seinsweise) wir uns mit einer Aufstellung einklinken, daß wir die besondere Energie, in die wir als Stellvertreter eintauchen, nicht wie den Staub von unseren Füßen schütteln, sondern sie entweder wie einen Gast eine Weile in uns beherbergen oder uns achtungsvoll von ihr verabschieden.

Fremdartige Wahrnehmungen als Stellvertreter

Manchmal geschieht es auch, daß Stellvertreter in eine „Rolle“ kommen, in der sie Gefühle wahrnehmen oder ein Verhalten an den Tag legen, das sie aus ihrem „wirklichen Leben“ nicht kennen. Diese Erfahrung hat mich schon manches Mal irritiert. Genau diese Momente machen so deutlich, daß wir als Stellvertreter tatsächlich nicht Rollen spielen. Nicht ich erfülle die Rolle meinetwegen des Großvaters in einer Familie, sondern der Großvater erfüllt mich in der Rolle als Stellvertreter. Stellvertreter profitieren anders von Aufstellungen als Falleinbringer, jedoch nicht weniger. Jede Erfahrung in einer Rolle als Stellvertreter hat mich bereichert. (Ich halte deshalb, nebenbei bemerkt, auch nichts davon, bei Aufstellungskursen für Falleinbringer und andere Teilnehmer unterschiedliche Teilnahmegebühren anzusetzen.)

Dieser Zugewinn an Erfahrung, Einsicht und Verständnis ist freilich nicht umsonst zu haben. Die Rolle als Stellvertreter verlangt Hingabe oder, anders gesagt, den Verzicht darauf, die Situation zu mit den bewußten Verstand kontrollieren. Das macht zumindest Neulingen in der Regel Angst. Diese Angst kann ich normalerweise in dem Maße loslassen, in dem ich dem Aufstellungsleiter (oder -leiterin) vertraue. Dazu gehört auch das Vertrauen, daß ich nach der Aufstellung wieder in mein gewohntes „Ich“ zurückkehre. Hierdurch kommt dem Aufstellungsleiter eine Verantwortung zu, zum Beispiel die Verantwortung, wie viel ich einem Stellvertreter zumuten kann.

Und es gibt eine weitere Verantwortung, und die gilt meines Erachtens nicht nur für den Leiter (oder die Leiterin), sondern für alle, die an einer Aufstellungen beteiligt sind: eine Verantwortung nicht nur für den Falleinbringer, der sich uns anvertraut, und die anderen Teilnehmer, egal ob als Stellvertreter oder im Außenkreis. Eine Verantwortung auch nicht nur abstrakt für „das System“ des Klienten, sondern auch für die Personen, lebende oder Tote, die wir aufrufen, indem wir Stellvertreter für sie aufstellen. Wir mischen uns, ohne sie zu fragen, in ihr Leben (oder andere Seinsweise) ein. Das ist unvermeidlich, wenn wir diese Arbeit machen. Und ich halte es für ebenso unvermeidlich, daß uns daraus diese weitere spezielle Verantwortung zuwächst.

Jene neuen, bis dato unbekannten Wahrnehmungen aus einer „Rolle“ heraus können auch sehr schön sein. Ich erinnere mich an eine Aufstellung, in der zwei Stellvertreter ein junges Liebespaar bildeten und anschließend gar keine Lust hatten, aus der „Rolle“ wieder heraus zu steigen. (Da es in diesem konkreten Falle nach der Aufstellung ohnedies in die Mittagspause ging, konnten sie das gerne tun.) Oder ich erinnere mich, daß ich vor Jahren, in meiner eigenen Ausbildung, in der Rolle eines jungen Mannes stand, der entschieden war, katholischer Priester zu werden. Ich konnte und kann kaum beschreiben, wie ich mich da gefühlt habe, aber ich hätte mir gewünscht, diesen Bewußtseinszustand immer wieder für mich aufrufen zu können. Leider funktioniert das in diesem Falle nicht. Aber es hat meine Sicht auf Priester nachhaltig verändert.

Und dann gibt es auch erschreckende Wahrnehmungen, etwa in einer Rolle als wahnsinniger Mörder. Das möchte ich natürlich so schnell wie möglich wieder loswerden und vergessen. Natürlich? Gehört das nicht auch zu dem riesigen und (im doppelten Sinne des Wortes) gewaltigen Repertoire menschlicher Möglichkeiten, über das wir als Stellvetreter in Aufstellungen mehr erfahren können als irgendwo sonst? Schütze ich mich oder beschneide ich mich – oder tu ich beides, wenn ich versuche auszuwählen: Dies möchte ich behalten, jenes möchte ich loswerden?

Als Stellvertreter für eine eifersüchtige Ex-Frau

Manche „Rollen“ beschäftigen mich auch nachhaltig. Ich erinnere mich Wochen oder gar Monate später an die Aufstellung und merke plötzlich: Ich bin wieder in der Stellvertreter-Rolle! Zum Beispiel stand ich einmal als Stellvertreter für die Ex-Frau eines Klienten; Anliegen der Aufstellung war die Sorge des Vaters um das gemeinsame Kind.

Diese Frau kam aus einem anderen Land, einer anderen Kultur, in der „Tochter aus gutem Hause“ zu sein kein Anlaß für einen spöttischen Unterton ist, sondern eine Sache von großer Bedeutung. Als ihr Stellvertreter war ich sehr gekränkt, daß der Mann mich wegen „so einem billigen Flittchen“ hatte fallen lassen. In der „Rolle“ war ich von Eifersucht und Rachewünschen gegen die neue Frau des Mannes durchdrungen. In der Nachbesprechung zur Aufstellung meldete ich aus der Rolle nach, es habe Momente gegeben, wo ich unsicher war über mein Verhalten. Es hätte mich nur jemand anzusprechen brauchen, und ich hätte mich korrigieren können. Da ich aber allein gelassen blieb, war ich meinen Rachephantasien hilflos ausgeliefert. Während ich das berichtete, merkte ich, daß ich immer noch, oder schon wieder, in der „Rolle“ war und sagte, den Tränen nah: „Niemand interessiert sich dafür, wie es mir geht!“

Etwa ein Vierteljahr später lag ich einmal in der Badewanne und dachte über Aufstellungen nach. Da kam mir diese eine wieder in den Sinn. Die Frau, deren Stellvertreter ich gewesen war, war mir wieder sehr nah, aber ich war diesmal nicht wieder in der Rolle. Ich betete für sie, damit sie Hilfe „von oben“ bekommt, da ich ja nichts mehr für sie tun konnte. Dann fiel mir etwas ein, einer von Bert Hellingers Sätzen. Ich ließ mich wieder in die „Rolle“ hinein gleiten und dachte, als Stellvertreter dieser Frau, den Satz: „Ich bin eine ganz gewöhnliche Tochter ganz gewöhnlicher Eltern.“ Da kam plötzlich ein solcher Frieden über mich, daß mir klar war: Jetzt kann ich aus dieser „Rolle“ endgültig aussteigen, für mich ist diese Sache erledigt.

Natürlich kann man die Frage stellen, in wie fern ich eigentlich befugt war, ohne Auftrag, ja ohne Wissen der betroffenen Person überhaupt etwas für sie zu tun. Eine mögliche Antwort ist, daß das „Feld“, gewissermaßen im Wartestand, immer noch geöffnet war, obwohl die eigentliche Aufstellung vor Wochen offiziell abgeschlossen worden war. Dieses Phänomen interpretiere ich für mich so, daß die Aufstellung eben nicht, jedenfalls nicht für alle Beteiligten, abgeschlossen war. Theoretisch besteht natürlich auch die Möglichkeit, daß die „Rolle“ etwas angerührt hätte, was nicht zu jener Frau, sondern zu mir selber gehört, was nun in mir weiter rumort. Auf diesen Fall, bin ich mir sicher, trifft das nicht zu.

Es bleibt natürlich auch offen, wie Stellvertreter mit solchen „Nachwehen“ umgehen sollen, die mit der Hellinger-Arbeit und ihrem Repertoire an Lösungsmöglichkeiten nicht so vertraut sind. Umgekehrt taucht für den Professionellen, der mit der Aufstellungsarbeit Geld verdient, die Frage auf, ob er denn hinterher unbezahlte Sonderschichten einlegen soll – es sei denn, die viel beschworene „Nachbetreuung“ bedeutet eine weitere bezahlte Sitzung. Halbprofessionelle (wie ich), die diese Arbeit zwar für Geld machen, aber nicht davon leben müssen (oder gar nicht können), genießen den Luxus der Freiheit, daß sie solche „Nacharbeiten“ wie die oben beschriebene einfach machen können, wenn sie das wollen.

In „Nebenrollen“ ist es mir als Stellvertreter schon des öfteren so gegangen, daß ich am Ende einer Aufstellung den Gedanken hatte: „Bei mir ist noch ganz viel unerledigt.“ Als damals selber Neuling war ich richtig unwillig mit dem Leiter, daß er die Aufstellung beendete, und ich sagte ihm das auch. Seine Antwort war: „Für das Anliegen, wie es der Klient formuliert hat, ist es nicht erheblich, ob für die Person, für die du hier stehst, alles geklärt ist oder nicht.“ Und wenn ich später in solchen Situationen wieder unzufrieden war, sagte ich das zu mir selbst. Heute sehe ich das etwas anders. Sich einfach auf den Auftrag des Falleinbringers zu berufen, halte ich nicht für Redlichkeit, sondern Feigheit. Jedenfalls ist in solchen Fällen, wo für eine „Nebenfigur“ etwas aufgerührt, aber nicht bearbeitet worden ist, geradezu wahrscheinlich, daß ein „Überhang“ den Stellvertreter über die Aufstellung hinaus begleitet.

Es gibt kaum Aufstellungsformen, die es erlauben, das ganze „Feld“ durchzuarbeiten, bis es für alle Beteiligten gut ist. Und ich muß zugeben, daß ich mich selbst bisher mit dieser Frage kaum beschäftigt habe. Ich möchte es aber zumindest als Frage aufwerfen, wie legitim es ist, im Feld einer Aufstellung Personen (oder andere Wesenheiten) aufzurufen und einfach wieder „heimzuschicken“, wenn man sie nicht mehr braucht.

Dieser Artikel erschien in Systemische Aufstellungspraxis, 1/2006

Jayin Thomas Gehrmann