Was ist das klassische und was ist das neue Familienstellen nach Hellinger? Und was ist Voraussetzung, um es zu lernen? Ein weitreichendes Thema auf zehn Seiten gründlich, prägnant und leicht verständlich beschrieben. Das Familienstellen nach Bert Hellinger ist eine relativ junge Methode, die ab Mitte der 1990er Jahre sehr populär wurde. Verglichen mit anderen therapeutischen Methoden führt sie häufig in kürzester Zeit zu verblüffenden Erfolgen. Kein Wunder also, dass die Hellinger-Arbeit binnen weniger Jahre viele Anhänger fand. Allerdings auch viel Gegner, vor allem bei den Vertretern anderer Therapieformen. Nicht nur aus Neid auf die Konkurrenz. Viele Erkenntnisse aus dem Familienstellen stehen quer zu gewohnten Ansichten.

Zum Beispiel ist eine wichtige Erkenntnis aus dem Familienstellen: „Eine Krankheit schaut immer freundlich“. Wie bitte? Die meisten Menschen kommen doch, weil sie ein Problem, zum Beispiel eine Krankheit, loswerden wollen und eine Therapie erwarten, die ihnen diesen Wunsch erfüllt. Eine Krankheit tut weh, behindert uns oder bedroht sogar unser Leben. Was heißt da: Sie schaut freundlich? Und wieso überhaupt „schaut“ die Krankheit? Ist sie denn eine Person, die Augen im Kopf hat und sehen kann? Ja, und noch mal ja.

Die Stellvertreter

Erstens ist die Krankheit beim Familienstellen eine Person, weil sie von einem Stellvertreter personifiziert wird. Die Stellvertreter sind der Dreh- und Angelpunkt bei der Aufstellungsarbeit. Sie werden in eine Rolle gestellt, etwa die Rolle der Krankheit, ähnlich wie ein Schauspieler. Ganz praktisch sagt dann der Aufstellungsleiter zu einem Teilnehmer: „Stell dich mal dort hin. Du stehst für die Krankheit.“ Und einen anderen lässt der Leiter sich für den Kranken hinstellen.

Da stehen sie nun einander gegenüber. Der Stellvertreter für den Kranken zeigt nun Zeichen von Angst und Abwehr. Er weicht vor der Krankheit zurück, oder er ballt die Fäuste und macht ein wütendes Gesicht. Und der Stellvertreter für die Krankheit steht meistens aufrecht und gelassen – und schaut freundlich. Vielleicht hält er sogar die Arme offen und zeigt, dass die Krankheit bereit ist, den Kranken liebevoll in ihre Arme zu schließen.

Niemand hat den Stellvertretern gesagt, wie sie sich verhalten sollen. Zwar gibt es wie beim Rollenspiel oder Psychodrama einen definierten Raum, eine Szene oder Bühne, auf der die Stellvertreter sich bewegen. Aber es gibt keine Rollenanweisungen, was sie wie darzustellen hätten. Von der Rolle wissen sie nicht mehr als den Namen: „Der Klient“, „die Krankheit“ , „der Großvater des Klienten“ oder ähnlich, oder nicht einmal das.

Je weniger die Stellvertreter wissen über die Einzelheiten des Falles – die Lebensgeschichte des Klienten oder die Art der Krankheit, desto besser. Je unvoreingenommener sie sind, desto zuverlässiger bringen sie das (und nur das) zum Ausdruck, was sie innerlich erspüren und was doch nicht zu ihnen selbst gehört. Denn wer als Stellvertreter in einer Aufstellung steht, nimmt auf einmal Gefühle, Gedanken oder Wünsche wahr wie die Person, für die er steht.

In bestimmten Situationen wird den Stellvertretern doch vorgegeben, dass sie etwas sagen sollen. Das sind meistens ganz kurze Sätze oder Formeln wie „Lieber ich als du!“ Diese so genannten Sätze der Kraft verdichten etwas, was vage im Raum steht. Etwas, was der Aufstellungsleiter mit geschultem Blick erkennt oder was Stellvertreter mitgeteilt haben. Diese Sätze bringen z.B. eine Absicht auf den Punkt, die niemand klar aussprechen möchte, weil alle Beteiligten sich davor fürchten. Wenn solch ein Satz jedoch ausgesprochen wurde und er ins Schwarze trifft, dann spüren alle Beteiligten eine Erleichterung und eine Kräftigung.

Dass die Mitteilungen der Stellvertreter, sei es mit Bewegungen oder mit Worten, zuverlässig sind, weiß jeder, der es erlebt hat. Ohne dass ihnen irgendetwas darüber gesagt worden wäre, zeigen sich bei den Stellvertretern Körperhaltungen, Wortwahl, bestimmte Gefühle oder auch körperliche Schmerzen wie bei den wirklichen Personen.

Umgekehrt zeigen sich die wohltuenden Veränderungen auch bei den wirklichen Personen, auch wenn sie gar nicht anwesend sind. Sie müssen nicht einmal einen Bericht darüber bekommen oder überhaupt davon erfahren. Das Stellvertreter-Phänomen wirkt also in beide Richtungen: Dass der Stellvertreter etwas wahrnimmt, was zu einer anderen Person gehört, und dass diese Person von dem bewegt wird, was sein Vertreter in der Aufstellung erlebt, hört, sagt und tut.

Wie ist das überhaupt möglich? Die Erfahrungen aus dem Familienstellen legen nahe, dass es eine geistige Ebene gibt, auf der jeder Mensch mit jedem anderen verbunden ist und auf der Informationen fließen. Nur wenige Menschen erleben dieses Phänomen bewusst im Alltag. Dennoch scheint es eine natürliche und allgemeine Fähigkeit zu sein. Wer als Stellvertreter in das geistige Feld einer Aufstellung eintritt, bei dem wird diese Fähigkeit aktiviert. Die Fähigkeit dazu ist bei verschiedenen Menschen unterschiedlich ausgeprägt, aber grundsätzlich hat sie jeder. Und sie lässt sich auch üben.

Die Verstrickung

Die Krankheit kann also in Aufstellungen „freundlich schauen“ wie ein Mensch, weil sie von einem Stellvertreter verkörpert wird – erstens. Dieses Erstens hat uns einiges über das Wie der Aufstellungsarbeit gezeigt. Das Zweitens wird uns etwas über das Was dieser Arbeit sagen. Denn zweitens zeigt sich im Verlauf einer Aufstellung oft, dass die Krankheit ihrerseits einen Menschen vertritt – einen ausgeschlossenen Menschen. Immer wieder geht es beim Familienstellen um diese so genannten Ausgeschlossenen. Was ist damit gemeint? Sollen wir uns etwa vorstellen, dass da jemand mit einem barschen „Verschwinde!“ vor die Tür gestoßen und die Tür hinter ihm verriegelt wird?

Ja, dieses Bild wäre ganz treffend. Und dieser Punkt ist wichtig zu verstehen! Jedes soziale System – jede Familie, jeder Betrieb, jede Anhängerschaft eines Fußballclubs, überhaupt jede Gruppe hat ihre Regeln dazu, was man denken, sagen und tun muss, wenn man dazugehören will. Vor allem hat sie auch Regeln, was man eben nicht denken, nicht sagen oder nicht tun darf, wenn man nicht riskieren will, aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Mit jenen, die gegen die Regeln verstoßen, mit den Bösen, Missratenen, wird kein Kontakt geduldet, kein gutes Wort, letztlich keine Erinnerung.

Doch nicht nur solche Regelbrecher werden so ausgeschlossen. Wir vergessen auch jene, deren Schicksal so schlimm war, dass sich keiner an sie erinnern mag. Auch die sehr jung Verstorbenen, abgetriebene oder abgegangene Föten kommen im Bild der Familie nicht vor, obwohl auch sie dazu gehören. Desgleichen gehören frühere Partner der Eltern dazu und noch einige andere. Alle missachteten oder vergessenen Mitglieder des Systems rechnen wir zu diesen Ausgeschlossenen. Doch alle diese, denen ein ehrendes Angedenken verweigert wird, wirken weiter in das System hinein, auf eine belastende Weise.

Es gibt nämlich eine Kraft – Bert Hellinger hat sie das kollektive oder Gruppengewissen genannt – die dafür sorgt, dass die Ausgeschlossenen wieder in das System hereinkommen. Wie geschieht das? Es geschieht, indem ein anderes Mitglied des Systems einen Ausgeschlossenen vertritt – so wie ein Stellvertreter in einer Aufstellung, nur ohne es zu wissen, ohne es auch nur zu ahnen. Solch ein Stellvertreter entwickelt dann im wirklichen Leben unbewusst ähnliche Eigenarten wie der Ausgeschlossene, benimmt sich wie jener, durchlebt die gleichen Konflikte wie jener, leidet und wird vielleicht auch krank wie jener.

Wir sprechen dann von einer Verstrickung. Woran können wir solch eine Verstrickung erkennen? Alles unerklärliche abweichende Verhalten, bei uns selbst oder anderen, ist in der Regel ein Hinweis auf eine solche Verstrickung. Es ist jedoch auch, und das ist die gute Nachricht, ein Hinweis darauf, dass hier Familienstellen vermutlich helfen kann. Die Hilfe besteht letzten Endes darin, dass der Ausgeschlossene wieder als dazugehörig anerkannt wird.

Krankheiten sind oft Zeichen für eine Verstrickung. Hinter der Krankheit steckt eine Person, von der man nichts mehr wissen wollte, warum auch immer. Ein nicht geachtetes Mitglied des Systems wirkt belastend weiter in das System hinein. Diese Person wird jedoch zu einer unterstützenden Kraft, wenn wir sie in der Aufstellung wieder in den Blick nehmen und ihr Achtung erweisen. Dann ist diese Person ihrerseits wohlwollend – besonders dem gegenüber, der mit ihr unbewusst verstrickt war. Sie schaut freundlich.

Natürlich schädigen Krankheiten, und sie können auch zum Tod führen. Wie steht es denn da mit der Freundlichkeit der Krankheit? Nun, freundlich ist nicht die Krankheit als solche, sondern die Person, die nur durch diese Erkrankung eines Anderen sichtbar wurde. Keineswegs können wir mit Aufstellungen Krankheiten wegwischen oder den Tod vermeiden. Auch wenn Aufstellungen oft etwas bewirken, was keine medizinische Behandlung bewirken kann, können sie umgekehrt medizinische Behandlung auch nicht ersetzen. Es ist durchaus oft zu beobachten, dass Krankheiten nach Aufstellungen verschwinden. Aber wir sind gut beraten, das nicht als unser Verdienst anzusehen, sondern als Gnade.

Systemische Ordnungen und Dynamiken

Was wir tun oder lassen müssen, um dazu zu gehören, das sagt uns unser Gewissen. Wir spüren es als ein Gefühl der Schuld, wenn wir gegen den Wertekanon unserer Gruppe verstoßen, und als ein Gefühl der Unschuld, wenn wir uns diesen Regeln gemäß verhalten. Was gut und was böse ist, sagt uns unser Gewissen – aber immer beschränkt auf das Wertesystem unserer Gruppe. Mehr sagt es uns nicht. Es ist nichts Heiliges. Es ist nur der Instinkt, der uns warnt, wenn wir unsere Zugehörigkeit zu unserer Gruppe riskieren. In der Konsequenz sagt uns das Gewissen auch, wen wir verachten und wen wir ächten müssen.

Über dem persönlichen Gewissen, das wir spüren können, gibt es das kollektive Gewissen. Wir können es nicht spüren, wir können es nur aus seiner Wirkung ableiten. Dieses Gewissen setzt verschiedene Ordnungen durch. Die erste Ordnung besagt, dass jeder, der zu einem Kollektiv dazu gehört, etwa zur Familie, das gleiche Recht hat, dazu zu gehören. Keiner mehr als ein anderer, keiner weniger. Das kollektive Gewissen duldet keinen Ausschluss, und es sorgt dafür, dass Ausgeschlossene auf einem Umweg wieder in das System hinein kommen. Es sorgt dafür auch auf Kosten Unschuldiger, meist Kinder: Verstrickt mit den Ausgeschlossenen wiederholen sie deren Unglück.

Die zweite wichtige Ordnung, die vom kollektiven Gewissen durchgesetzt wird, ist die Ordnung der Rangfolge. Sie besagt, dass diejenigen, die länger dabei sind, einen höheren Rang einnehmen als die, die erst neu dabei sind. Die Eltern kommen vor den Kindern, die älteren Geschwister vor den jüngeren. Beim Familienstellen können wir sehen, welche Folgen es hat, wenn jemand gemäß diesen Ordnungen lebt oder wenn er sich dagegen auflehnt. Wenn wir im Einklang mit diesen Ordnungen leben, geht es uns gut, wenn nicht, dann sind Schmerz, Leid und Unglück die unausweichliche Folge.

Nun ist es so, dass jeder Nachgeborene, der einen Ausgeschlossenen vertritt, praktisch versucht, dessen Recht auf Zugehörigkeit einzufordern – er mag sich dessen bewusst sein oder nicht. Damit mischt er sich aber in eine Angelegenheit der Älteren ein. Ein häufiges Beispiel: Ein Mann hat seine Freundin, Verlobte vielleicht, sitzen gelassen und eine Andere genommen, mit der er ein Kind hat. Von der ersten Frau und ihrem Schicksal ist nicht mehr die Rede. Das Kind ist nun mit der früheren Frau identifiziert und ist eifersüchtig und wütend gegen seine eigene Mutter.

Die Eltern, die den Zusammenhang nicht verstehen, wundern sich nur über das Benehmen des Kindes. Das Kind mag selbst unglücklich darüber sein, aber es kann nicht anders. Es  ist vom kollektiven Gewissen in den Dienst genommen, um die verdrängte, also ausgeschlossene erste Frau zu vertreten. Gleichzeitig jedoch verstößt das Kind damit gegen die Ordnung der Rangfolge, indem es sich anmaßt, für die Eltern etwas Versäumtes zu erledigen. Erst wenn in dieser Aufstellung die erste Frau gewürdigt wird, ist eine Lösung möglich.

Würdigen heißt nicht, Geschehenes rückgängig zu machen. Das geht nicht. Aber man kann es anerkennen, zum Beispiel indem der Stellvertreter des Vaters sagt: „Ich habe dir Unrecht getan“ oder einfach „Ich habe dir weh getan, und es tut mir leid“. Meistens, wenn wir jemandem etwas angetan haben, möchten wir nicht mehr darüber nachdenken und schon gar nicht darüber sprechen. Wir denken vielleicht: „Die wird sich schon wieder einkriegen“, oder etwas Ähnliches. So entstehen offene Rechnungen, für die andere später bezahlen.

Die Durchsetzung der systemischen Ordnungen ist eine Wirkung des zweiten, des kollektiven Gewissens. Es gibt noch ein drittes, Hellinger nennt es das geistige Gewissen. Dieses ist allen und allem gleichermaßen wohlwollend zugewandt. Das persönliche Gewissen opfert die Abweichler für die Rechtgläubigen. Das kollektive Gewissen opfert die Jüngeren für die Älteren, vor allem aber den Einzelnen für die Gruppe, scheinbar für „das Ganze“. Das geistige Gewissen opfert niemanden, schließt keinen aus und klagt niemanden an. Es hält niemanden für wichtiger, besser, wertvoller als jemand anders. Es ist aber auch kein Schutzengel, der rettend eingreift.

Hellinger hat außer den systemischen Ordnungen auch drei systemische Grunddynamiken festgestellt. Ihre Triebkräfte sind die Liebe und Treue gegenüber Angehörigen. Hier geht es nicht um Verstrickung, nicht um die Identifikation mit einem Ausgeschlossenen und die Wiederholung von dessen Schicksal. Doch auch diese Dynamiken sind unbewusst.

Die erst heißt: „Ich folge dir nach“. Das heißt: ich folge dir nach in Unglück oder Tod. Wenn wir zum Beispiel in einer Aufstellung sehen, dass ein Stellvertreter „hinaus“ will, sich von allen weg wendet, dann bedeutet das oft: Er will aus dem Leben hinaus in den Tod. Aber was ist so anziehend am Tod? Das ist ja nicht der Tod an sich. Sondern dort, im Totenreich, ist eine geliebte Person, mit der der Betreffende wieder vereinigt sein möchte: Ein Elternteil vielleicht, ein Geschwister, ein Geliebter.

Die zweite Dynamik heißt: „Ich an deiner Stelle“. Dies ist wieder eine Stellvertreter-Handlung, aber nicht für einen Ausgeschlossenen, sondern für einen Anderen, in dem bereits die erste Dynamik wirkt: Wenn in einer Familie der Vater oder die Mutter einem Verstorbenen nachfolgen möchte, dann spürt das oft ein Kind und sagt: „Lieber ich als du.“ Diese Formel bedeutet in der Langversion: „Wenn hier schon jemand sterben muss, dann gehe lieber ich, damit du bleiben kannst.“ Konkret kann das so aussehen, dass ein solches Kind magersüchtig wird. Es verschwindet buchstäblich.

Die dritte Dynamik ist die Sühne – auch wieder unbewusst. Dabei kann es sein, dass jemand es sich schlecht gehen lässt, sich selbst bestraft, und zwar entweder für eine Schuld, die er selbst auf sich geladen hat, oder für eine Schuld, die eigentlich ein Vorfahre hätte ausgleichen müssen. Das wäre wieder ein Beispiel für eine Verstrickung.

Verschiedene Arten der Aufstellungsarbeit

Für die Aufstellungsarbeit sind verschiedene Begriffe im Umlauf, die nicht nur bei Laien für Verwirrung sorgen. Mal heißt es Familienaufstellung oder Familienstellen, mal Systemaufstellungen, dann auch „Bewegungen der Seele“ oder „Bewegungen des Geistes“ oder Geistiges Familienstellen – dazu allerlei Sonderformen, von denen hier nicht die Rede sein soll.

Seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es in der Systemischen Familientherapie Familienskulpturen und Familienaufstellungen. Sie dienten vor allem der bildhaften Veranschaulichung, wie es in einer bestimmten Familie so aussieht. Viele systemische Therapeuten glauben nun, Hellinger benütze eigentlich nur ihre Methode. Verwechslungsgefahr besteht inzwischen kaum noch, denn wenn heute vom Familienstellen die Rede ist, denkt sowieso jeder an das Familienstellen nach Hellinger. Gleichwohl existieren einige Missverständnisse fort, und um die aufzuklären, muss Folgendes verstanden werden:

Bert Hellinger hat das Stellvertreter-Phänomen zum „archimedischen Punkt“ der Aufstellungsarbeit gemacht. Zweitens hat er die Funktion des Gewissens aufgedeckt sowie die systemischen Ordnungen und Dynamiken. Das Familienstellen nach Hellinger zielt darauf, die unbewusste Verstrickung mit einem Ausgeschlossenen aufzulösen und die gestörten Ordnungen wieder herzustellen. All das gab und gibt es in den Aufstellungen der systemischen Therapie vor Hellinger nicht.

Der Ausdruck Systemaufstellung betont erstens, dass das Familienstellen systemisch ist. Es ist nicht auf den einzelnen Klienten und sein ganz eigenes, persönliches Problem konzentriert, sondern es schaut auf das ganze System, vor allem die ganze Familie, und insbesondere auf die Personen, die fehlen. Dementsprechend ist auch die Lösung immer eine Lösung für das ganze System, nicht nur für den einzelnen Klienten.

Zweitens kann das Familienstellen als Methode auch auf andere Systeme angewandt werden, die keine Familien sind. Wenn es speziell um Betriebe, Organisationen geht, ist auch von Organisationsaufstellungen die Rede. Zahlreiche spezielle Formen der Aufstellungsarbeit wie Zielaufstellungen im Coaching oder Aufstellungen zur Erforschung der homöopathischen Heilmittel leiten sich vom Familienstellen her, sind aber streng genommen weder Familien- noch Systemaufstellungen.

Seit Bert Hellinger das Familienstellen zum Geistigen Familienstellen weiterentwickelt hat, hat der Begriff Systemaufstellung auch noch eine dritte Bedeutung. Er grenzt das klassische systemische gegen das neue geistige Aufstellen ab. Der Unterschied liegt in der jeweiligen Ebene des Gewissens, auf der die Aufstellung verläuft Das persönliche und das kollektive Gewissen sind systemisch, und die Aufstellungen, die auf dieser Ebene bleiben, werden richtig als Systemaufstellungen bezeichnet. Die dritte Ebene des Gewissens geht darüber hinaus. Auch die Aufstellungen, die auf dieser Ebene arbeiten, gehen darüber hinaus. Sie sind spirituell oder eben geistig.

Wenn zum Beispiel die Dynamik „Ich an deiner Stelle“ in einer Aufstellung einen Sohn für einen Vater in den Tod gehen lässt, und der Vater stimmt dem zu, dass der Sohn das tut, kann man auf der Ebene der Systemaufstellung nichts mehr tun. In der geistigen Arbeitsform kann die Aufstellung leicht noch eine ungeahnte Wendung nehmen.

Verschiedene Arbeitsweisen beim Aufstellen

Mit der Entwicklung der verschiedenen Aufstellungsformen hat sich auch die Arbeitsweise des Aufstellungsleiters verändert. Ihn erwarten  in der einen oder anderen Form unterschiedliche Aufgaben und an ihn stellen sich unterschiedliche Anforderungen. Dabei gibt es zwei verschiedene Scheidelinien. Eine fällt sofort ins Auge, markiert aber keinen wesentlichen Unterschied. Die andere ist subtil, kaum sichtbar, aber wesentlich. Hier kommt es darauf an, was sich im Inneren des Leiters vollzieht, weniger darauf, was er sichtbar tut. Er tut nur sichtbar weniger als in der früheren Form, die heute auch als klassisches Familienstellen bezeichnet wird.

In der alten Form beginnt eine Aufstellung damit, dass der Aufstellungsleiter das Anliegen des Klienten mit einer kurzen Befragung erkundet. Dann wählt er verschiedene Positionen im System des Klienten aus, die für das Anliegen vermutlich eine Rolle spielen, zum Beispiel: Den Klienten, seinen Vater sowie dessen Bruder und Schwester. Oder: Den Klienten, seine Mutter und das Symptom. Für diese Positionen sucht der Klient nun Stellvertreter aus und stellt sie, seinem Gefühl folgend, an einen Platz im Raum. Dann befragt der Leiter die Stellvertreter, was sie in der Rolle wahrnehmen, und verändert die Aufstellung mit verschiedenen Interventionen. Wo nötig, schlägt er den Stellvertretern vor, bestimmte Sätze zu sprechen oder ihren Standort zu verändern. So sucht er zusammen mit den Stellvertretern nach der besten Lösung für alle.

In der neuen, geistigen Form erfragt der Leiter, worum es dem Klienten geht; ein Stichwort genügt. Denn es geht weniger um Information in dem Sinne, dass der Leiter Daten über den Klienten bekommt, sondern es wird ein geistiges Feld geöffnet, dem sich der Leiter aussetzt. Wie ein Stellvertreter spürt er nach innen, dann entscheidet er, wen oder was er aufstellt. Das sind meistens nur ein oder zwei Stellvertreter, oft darunter der Falleinbringer in eigener Person. Blicke und Bewegungen der Stellvertreter weisen darauf hin, ob und wo weitere Stellvertreter hingestellt oder –gelegt werden müssen. Im Übrigen bleiben die Stellvertreter meist stumm, sie bewegen sich bzw. werden von einer unsichtbaren äußeren Kraft bewegt. Der Leiter sieht oder spürt, wann die Aufstellung an ihrem Ende angekommen ist.

Hält sich der Beobachter nur an das offen Sichtbare, kann er leicht verkennen, worin der entscheidende Unterschied liegt. So beobachtet er, dass die Stellvertreter entweder still stehen oder aber sich frei bewegen. Und er beobachtet, dass mal mehr, mal weniger oder gar nicht gesprochen wird. Tatsächlich sind die Bewegungen des Geistes auf die bewegte Form angewiesen. Daher vermutet mancher, die statischen Aufstellungen seien die systemischen und die bewegten die geistigen. Doch das stimmt so nicht.

Für die systemischen Aufstellungen sind nämlich sowohl die statische wie die bewegte Form möglich. Die selbstbewegte Form der systemischen Aufstellungen nannte Hellinger „Bewegungen der Seele“. In der Entwicklung der Aufstellungsarbeit stellt diese Form einen Zwischenschritt zu den Bewegungen des Geistes dar. Diese Arbeitsweise hat nicht die Bedeutung, die Hellinger zunächst vermutet hatte und er verwendet diesen Begriff nicht mehr.

Der Unterschied

Woran erkennt man nun den Unterschied zwischen den Bewegungen der Seele und den Bewegungen des Geistes? Dieser Unterschied ist äußerlich kaum zu sehen. Hier wie da fordert der Aufstellungsleiter die Stellvertreter auf, sich ihren inneren Impulsen folgend zu bewegen. Hier wie da bewegen sich die Stellvertreter wie in Trance, geleitet von einer geistigen Kraft außerhalb ihrer selbst. Wir werden in diesen bewegten Aufstellungen mehr zur Lösung geführt, als dass wir sie suchen und finden.

Aber welche Kraft ist es, die dann zu welchen Lösungen führt? In der Bezeichnung „Bewegungen der Seele“ verweist das Wort Seele auf die Gruppen- oder Familienseele, jene Kraft, die hinter dem kollektiven Gewissen wirkt. Diese Kraft führt dann auch die Bewegungen der Stellvertreter in ihrem Sinne, also auf eine Wiederherstellung der systemischen Ordnung hin.

Das Wort Geist in der Bezeichnung „Bewegungen des Geistes“ meint die Urkraft, die alle Existenz in Bewegung gesetzt hat und in Bewegung hält. Jene Urkraft, die allem zustimmt, wie es ist. Jeder, der meint: „Das ist genau mein Verständnis von Gott!“, mag den Geist für sich als Gott benennen. Wer meint, Gott liebe nur die Guten und hasse die Bösen, sollte besser beim Ausdruck Geist bleiben – und sich ein paar Gedanken über sein Gottesbild machen.

Wenn wir uns auf die Bewegungen des Geistes (oder Gottes) einschwingen, müssen wir darauf verzichten, die Aufstellung in eine bestimmte Richtung zu lenken. Gottes Wege sind nicht unsere Wege, und Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken. Welche Lösung der Geist anstrebt oder ob er überhaupt auf eine Lösung aus ist, können wir nicht wissen. „Dein Wille geschehe“ ist die angemessene Haltung für einen Aufstellungsleiter, wenn er mit den Bewegungen des Geistes arbeitet.

Dies ist also der Punkt, an dem sich die klassische, nur systemische von der neuen, geistigen Aufstellungsweise unterscheidet. Hier unterscheidet sich auch ein herkömmliches therapeutisches Selbstverständnis des Leiters von einem spirituellen. Jeder Klient entscheidet für sich, ob er eine Art Therapie haben oder sich auf diesen spirituellen Erkenntnisweg begeben möchte. Auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist, er entscheidet sich. Und für den Aufstellungsleiter gilt das Gleiche.

Die klassische Systemaufstellung lässt sich als eine äußerst effektive therapeutische Methode erlernen und anwenden. Ein Therapeut kann sie sozusagen als Werkzeug in seinen Methodenkoffer einsortieren und bei Bedarf herausholen und anwenden. Auch in der klassischen Form ist die geistige Dimension der Aufstellungsarbeit vorhanden, allein schon im Stellvertreter-Phänomen und darin, dass wir wie selbstverständlich auch Stellvertreter für Tote aufstellen können. Man kann also Systemaufstellungen als spirituelle Arbeit verstehen, muss es aber nicht.

Die Bewegungen des Geistes sind kein Werkzeug. Man kann sie nicht benutzen, wie man möchte. Hier ist Hingabe erforderlich.

In dem Moment, in dem wir eine Aufstellung beginnen, eröffnen wir ein geistiges Feld. Ein Feld, in dem wir mit einer nicht-körperlichen, geistigen Dimension verbunden sind, vor allem durch die Stellvertreter. In diesem Feld wirken sozusagen die Geister, die wir rufen. Im klassischen Familienstellen erwarten wir, dass die Stellvertreter etwas über die Personen mitzuteilen wissen, für die sie stehen: Was sie empfinden, was sie meinen, was sie wollen, wie sie auf etwas reagieren. Und so geschieht es auch.

Wenn wir uns auf den „Geist“ beziehen, dann werden die Stellvertreter auch auf dieser Ebene und von dieser Kraft bewegt. Systemaufstellungen laufen auf Hereinnahme des Ausgeschlossenen und Reparatur der Ordnung hinaus. Dagegen kann man über die Bewegungen des Geistes nur sehr allgemein sagen, dass sie stets etwas Getrenntes zusammenführen. Wie das geschieht, kann man vorher niemals absehen. Wer mit den Bewegungen des Geistes arbeiten will, muss bereit und reif dafür sein, solch ein geistiges Feld aufzurufen.

Wo hilft die Aufstellungsarbeit?

Beim Familienstellen geht es fast immer darum, dass Menschen mit ausgeschlossenen Personen in ihrem System verstrickt sind, was leidvolle Folgen für sie selbst und andere bedeutet. Es geht um gestörte Ordnungen, die wieder in Ordnung gebracht werden wollen, sei es die Ordnung von Geben und Nehmen („offene Rechnungen“), die Ordnung der Rangfolge und die Ordnung des gleichen Rechtes auf Zugehörigkeit.

Ob solch eine Verstrickung vorliegt, dafür gibt es vielerlei Anzeichen. Jede Krankheit ist es wert, darauf untersucht zu werden, ob sie ein Zeichen für eine Verstrickung ist. Wo immer jemand es sich schlecht gehen lässt, haben wir solch ein Anzeichen. Und man kann es sich auf sehr vielfältige Weise schlecht gehen lassen: beruflicher Misserfolg, einen Betrieb in die Pleite führen, häufige Unfälle oder eben Krankheiten. Jedes unerklärliche auffällige Verhalten, insbesondere von Kindern, ist ein solches Zeichen.

Die üblichen psychologischen Erklärungen wie: „Das kommt daher, dass der Vater immer so streng war“ sind oberflächlich und helfen nicht weiter. Mehr noch: Sie lenken vom Wesentlichen ab. Und außerdem: Wo immer jemand angeklagt wird, wird (schon wieder) jemand ausgeschlossen. So wird das Elend nicht behoben, sondern verlängert.

Was merkwürdiges Verhalten ist, dafür schult die Aufstellungspraxis selbst den Blick. Es gibt ein „natürliches“ Verhalten von Kind zu Eltern und von Eltern zu Kind. Natürlich, das bedeutet nicht, dass es in der Realität der Normalfall wäre. Weit entfernt! Es meint dasjenige Verhalten, von dem sich in Aufstellungen zeigt, dass es allen Beteiligten wohl tut. So kümmern sich Eltern natürlicherweise liebevoll um ihre Kinder, geben ihnen Halt und Orientierung. Ist das in der Realität nicht der Fall, stellt sich die Frage: Was hindert sie daran? Das herauszufinden (und aufzulösen) wäre ein Fall für eine Aufstellung.

Wie hilft die Aufstellungsarbeit?

Das sieht fast so aus, als könnte man Aufstellungen auf alles und jeden erfolgreich anwenden. Und ja, das stimmt! Grundsätzlich kann man alles mit einer Aufstellung bearbeiten, was mit Beziehungen zwischen Menschen zu tun hat. Und was hat mit Beziehungen zu tun? Weit mehr, als was danach aussieht. Ob zum Beispiel ein Autounfall etwas mit systemischen Verstrickungen oder Dynamiken zu tun hat oder nicht, darüber kann man nur Vermutungen anstellen – oder es aufstellen. Dann kann man es sehen.

Führen Aufstellungen denn immer zu Lösungen? Natürlich nicht. Das fängt damit an, dass manche Menschen sich zwar beschweren, wie schlecht es ihnen geht, aber kunstvoll alles vermeiden, was daran etwas ändern würde. Leiden ist oft leichter als Lösen. (Auch langwierige Psychotherapien helfen oft, wesentliche Veränderungen zu vermeiden.) Andere Menschen, die bereit sind, etwas in ihrem Leben zu verändern, sind aber noch nicht so weit, sich auch solch einer „unwissenschaftlichen“ Methode anzuvertrauen.

Spätestens im geistigen Familienstellen halten wir uns überhaupt zurück, von Lösungen zu sprechen. Denn wir können letztlich nicht wissen, was für einen anderen Menschen richtig ist. Kennen wir denn sein Schicksal oder seine Lernaufgabe für dieses Leben?

Seit Bert Hellinger mit den Bewegungen des Geistes arbeitet, betont er, dass er nicht lösungsorientiert arbeite, sondern bewegungsorientiert. Wie in der Traumatherapie sehen wir, dass irgendwo etwas stecken geblieben ist. Ein Schmerz oder ein Entsetzen haben keinen Ausdruck gefunden. Eine Hinbewegung ist unterbrochen worden. „Feinde“ versteifen sich auf ihre Positionen. Oft genügt ein Wort, eine kleine Bewegung, um Dornröschen aus ihrem Jahrhundertschlaf ins Leben zurück zu rufen. Was erstarrt war, kommt wieder in Fluss. Dann ist unsere Arbeit getan. Das Leben ist kein Film, und wir müssen kein Happy End ins Drehbuch schreiben.

Ähnlich rätselhaft wie das Stellvertreterphänomen ist die Frage, auf welche Weise eigentlich der wohltuende Effekt der Aufstellungen zustande kommt. Dass Aufstellungen sehr wirksam sind, ist unbestreitbar. Aber wodurch? Es gibt unter den Aufstellern unterschiedliche Ansichten dazu, die alle etwas für sich haben.

Die einfachste – einfach, weil sie den Denkgewohnheiten der herkömmlichen Psychotherapie entspricht – ist die, dass dem Bewusstsein des Klienten Einsichten vermittelt werden, nach denen er sein künftiges Verhalten ändern kann. Er stellt am Anfang sein „inneres Bild“ des Ist-Zustandes auf und sieht am Ende ein „Lösungsbild“, das den möglichen Soll-Zustand zeigt. Wer auf solche verstandesmäßige Einsicht vertraut, für den sind die Bewegungen des Geistes nichts – denn die enden oft so rätselhaft wie sie beginnen und wie sie verlaufen. Der ist mit klassischen Systemaufstellungen besser bedient.

Eine andere Vermutung ist, dass diese „Lösungsbilder“ nicht bewusst verstanden werden müssen, sondern dass sie unserem Unbewussten die nötigen Impulse geben: Du brauchst es nicht zu verstehen, es wirkt auch ohne. Bei den Bewegungen des Geistes gibt es kaum noch so etwas wie „Lösungsbilder“. Aber natürlich kann man den Verlauf der Aufstellung als eine Abfolge bewegter Bilder betrachten, die unbewusst wirken. Dieses Verständnis könnte für die klassische Arbeitsweise ebenso zutreffen wir für die geistige.

Eine dritte Annahme ist, dass in der Aufstellung selbst etwas geschieht, das die Veränderung bewirkt. Es gibt danach nichts mehr zu tun, weil es bereits (durch die Stellvertreter) getan ist. Zum Beispiel die überfällige Ehrung der Eltern wird vom Stellvertreter vollzogen – und das verändert etwas im Klienten selbst. Aber auch bei dem anderen, hier: den Eltern, kommt es an. Es gibt zahllose Berichte, dass Aufstellungen auch bei Personen wirken, die gar nichts von der Aufstellung wissen. Diese Tatsache lässt sich weder durch die „Einsichts“- noch durch die „Innere Bilder“-Theorie erklären. Hier bleibt nur der Vollzug in der Aufstellung als Erklärung.

Aufstellen lernen

Was muss jemand können, haben oder sein, um mit der Aufstellungsarbeit zu beginnen? Vor allem braucht er praktische Erfahrung mit dem Familienstellen, sollte eigene Anliegen aufgestellt und als Stellvertreter gestanden haben. Wer Aufstellungen leiten will, sollte ein erfahrener und guter Stellvertreter sein. Die Wirkungsweise von Aufstellungen versteht man, wenn man sie am eigenen Leibe und im eigenen Gemüt erlebt hat.

Wenn man die Aufstellungsarbeit zum ersten Mal sieht, zumindest in der klassischen Form, sieht sie sehr einfach aus. Sie ist auch einfach. Alles, was hier beschrieben wurde, kann man lernen. Es gibt nicht viel „Theorie“. Es gibt vieles zu begreifen, aber nicht so sehr über den Verstand. Keine Vorkenntnisse sind nötig. Zum Beispiel Kenntnisse anderer therapeutischer Methoden können genauso gut hinderlich sein wie hilfreich. Auch ein Psychologiestudium absolviert zu haben hilft hier nicht. Grundsätzlich ist keinerlei Vorbildung notwendig, um das Familienstellen zu lernen. Alter und Lebenserfahrung sind sicher hilfreich. Auf jeden Fall braucht es eine gewisse Reife. Doch worin besteht diese Reife?

Beim klassischen Familienstellen ist der wichtigste Vollzug das Ehren der Eltern – so, wie sie sind. Das ist heilsam, und ohne dem geht gar nichts. Das nur zu wissen reicht nicht. Man muss es innerlich vollziehen. Oben war von natürlich richtigen Verhaltensweisen die Rede. Wie haben wir als zwei-, dreijährige Kinder reagiert, wenn der Vater oder die Mutter nach Hause kam? Wir waren glücklich und haben gestrahlt. Wir haben sie geliebt ohne jeden Vorbehalt. Diese innere Haltung gilt es wiederzugewinnen. Wer seine Eltern nicht auf diese Weise „hat“, kann andere nicht dahin führen, seine Eltern so zu nehmen – so, wie sie sind, ohne Vorbehalt.

Manche Aufsteller sind sich freilich nur ungefähr klar darüber, wer beim Familienstellen als Teil des Familiensystems anzusehen ist. Oder sie tun sich schwer, die verschiedenen Ebenen und Funktionen des Gewissens zu unterscheiden. Anscheinend muss man, um das Aufstellen und auch das Wenige an Theorie darüber lernen zu können, erst die eigenen Eltern „haben“. Das heißt, man muss sie angenommen haben, so wie sie sind oder waren. Wer das nicht kann oder will, sollte von der Hellinger-Arbeit die Finger lassen.

Wenn man die drei systemischen Ordnungen, die drei Grunddynamiken und die ersten beiden Ebenen des Gewissens versteht und in einer Aufstellung erkennt und dazu noch ein paar Merksätze beherzigt, dann muss man nur noch den Stellvertretern vertrauen, um sich als systemischer Familiensteller zu versuchen. Natürlich ist ein systematisches Training hilfreich. Vor allem braucht ein angehender Familiensteller möglichst viel praktische Erfahrung.

Das gilt umso mehr, wenn es an die Bewegungen des Geistes geht. Gelerntes Wissen hilft hier wenig, weil hier jedes Mal etwas Ungeahntes, Neues geschieht. Hier geht es auch nicht mehr um Wiederherstellung eines früheren Zustandes, nicht um die Reparatur eines Schadens. Die Bewegungen des Geistes sind nicht weniger als ein Teil des lebendigen Schöpfungsprozesses. Hier entsteht jedes Mal etwas, das vorher noch nicht da war. Wer sich da auf Angelerntes verlassen wollte, der wäre verlassen.

Gibt es dafür nichts Spezielles zu lernen, zu wissen? Durchaus gibt es das. Scheinbar ist das wenig: Nur die dritte Ebene des Gewissens kommt neu hinzu. Doch auch dieses Verständnis muss verinnerlicht werden, und das ist ein unabsehbarer Lernprozess. Wenn der Satz „Der Weg ist das Ziel“ irgendwo unmittelbar einleuchtet, dann hier!

Dies ist ein spiritueller Erkenntnisweg. Und es geht wesentlich um diesen Erkenntnisweg. Es geht um das, was die alten Griechen Metanoia nannten, einen Wechsel in der inneren Haltung. Die Probleme, Krankheiten und Leiden, deretwegen wir mit einer Arbeit wie dem Familienstellen beginnen, erweisen sich spätestens hier als die Helfer, die uns auf diesen Weg bringen. Es geht nicht nur um diese oder jene Heilung, sondern um ein größeres Heil.

Wo kann man die Aufstellungsarbeit lernen, erfahren und üben? Für das Systemaufstellen gibt es zahlreiche Weiterbildungs-Angebote. Manche davon orientieren sich an den so genannten Qualitätsstandards, welche die Deutsche Gesellschaft für Systemaufstellungen formuliert hat. Andere halten diese Kriterien nicht für maßgeblich. Für das geistige Familienstellen bietet Bert Hellinger selbst Kurse an.

Literatur

Zum Familienstellen ist schon eine stattliche Menge Literatur veröffentlicht worden. Allein die Veröffentlichungen von Bert Hellinger sind zahlreich. Das Buch, von dem man am ehesten sagen kann, es enthalte umfassend alles, was man für die Aufstellungsarbeit wissen sollte, ist

Bert Hellinger, Die Liebe des Geistes (2008).

Einfach und für jedermann verständlich geschrieben sind die Bücher von Bertold Ulsamer. Sie behandeln jedoch nur das systemische Aufstellen.

Viele Kurse von Bert Hellinger sind als Videos dokumentiert, zum Teil als VHS-Bänder, die neueren auf DVD. Diese Videos sind ein hervorragendes Lernmaterial, aber auch Kennenlernmaterial. Wer die Aufstellungsarbeit aus eigener Anschauung noch nicht kennt, bekommt hier einen guten Eindruck.

Die älteren Videos (bis etwa 2000) zeigen den Meister mit klassischem Familienstellen. Die mittleren (etwa 2000 bis 2004) teils das alte, teils das neue Aufstellen. Es ist die „Zwischenzeit“ mit den Bewegungen der Seele. Die neueren (ab 2004) zeigen die Bewegungen des Geistes.

Wer sich mit dem geistigen Hintergrund von Bert Hellingers neuer Arbeitsweise vertraut machen möchte, dem seien Hellingers neuere Bücher empfohlen:

Wahrheit in Bewegung (2005)
Innenreisen (2007)
Natürliche Mystik (2008).

Jayin Thomas Gehrmann
(Dipl.-Suvervisor, Kassel)