Ist er seinen Klienten gegenüber grob und hart? Über Bert Hellingers Arbeitsweise: „Eine Zuwendung oder Liebe höherer Ordnung“. 2000. Bert Hellinger geht davon aus, dass das Leiden aus Liebe heraus entsteht – und dass es durch Liebe wieder geheilt wird. Die Botschaft, die der aufstellende Klient erhält, die »Wirklichkeit«, wie sie in der Aufstellungs-Arbeit aufscheint, ist selten kuschelweich. Hellinger verhindert, dass seine Klienten in ihr inneres »Gefühlskino« abdriften. Manche Therapeuten erliegen der Versuchung, den leidenden Klienten zu schonen, ihn zu pampern – was freilich heißt, ihn von der Wirklichkeit abzuschirmen
Von Liebe ist bei Bert Hellinger viel die Rede. Eines seiner bekannteren Bücher trägt den Titel »Ordnungen der Liebe«. Viele andere Familiensteller haben diesen Titel für ihre Kurse übernommen. »Wahrscheinlich ist es aber nicht zufällig, dass – wie bei besagtem Buchtitel – erst die Ordnung kommt und dann die Liebe«, meint Jayin Gehrmann, der Hellingers Haltung seinen Klienten gegenüber, seine Aussagen über Mitgefühl und Anteilnahme des Therapeuten genau beobachtet hat. Dabei entstand das Portrait des Therapeuten Hellinger, der sich bei seiner Arbeit eher »hart« und nüchtern als »lieb« zeigt und dessen größtes Anliegen es ist, Verstrickungen zu lösen, indem wir »anerkennen, was ist«
Hellingers Methode ist eine Form der systemischen Therapie: Was immer die Anliegen der Klienten sind, sie werden im Kontext eines Beziehungssystems bearbeitet – meistens der Familie, manchmal aber auch dem von Betrieben und anderen Organisationen. Ob eine Lösung gültig ist, erweist sich daran, ob alle Mitglieder des Systems ihr zustimmen können. So, wie die Seele des Einzelnen nach Heilung und Ganzheit strebt, so unterstellt Hellinger auch einer Familien- oder Sippen-Seele ein Streben nach Ganzheit. Jedes Mitglied des Systems hat ein gleiches Recht auf Zugehörigkeit – wenn auch nicht den gleichen Rang in der Hierarchie. Sobald ein Element aus dem System heraus fällt oder herausgedrängt wird, aktiviert das System gewissermaßen seine Selbstheilungskräfte und ersetzt das fehlende Glied durch Stellvertreter. Solche Elemente sind vor allem Personen, die verleugnet, vergessen, ins Abseits gestellt wurden, aber auch schweres Unrecht, das nicht beglichen oder schwere Verluste, die nicht betrauert wurden. Was da fehlt, wird unbewusst von anderen Mitgliedern des Systens übernommen: Sie spüren Zorn, der nicht ihrer ist, Schuld, die nicht ihre ist, Ängste, zu denen sie keinen eigenen Grund haben. Sie spüren es für andere, die tot oder ausgegrenzt, »nicht da« sind, oder die Grund zu diesen Gefühlen hätten, sie aber nicht spüren.
Leiden und Liebe
Es sind in der Regel Nachfahren, Kinder oder Enkel, die, ohne ein Bewusstsein davon zu haben, die Lücken füllen. Sie nehmen es auf sich – aus Liebe. Auch diese kindliche Liebe heilt, doch heilt sie das System auf Kosten der Kinder. »Es gibt eine tiefe Bindung der Kinder an die Herkunftsfamilie. Für ein Kind wäre es das Schlimmste, wenn es da ausgeschlossen würde. Das ist ganz elementar. (…) Daher tut das Kind alles, damit es dazugehört, ohne jede Selbstsucht. Diese Liebe ist keine Überlebensstrategie. Das Kind stirbt ja auch gerne, wenn es den anderen hilft.« (Bert Hellinger, aus: »Anerkennen«, S. 46). Diese Verstrickung in die Schicksale von Eltern, Großeltern, Tanten und so weiter geschieht aus kindlicher Liebe, und so bleibt sie uns bis ins hohe Alter erhalten.
Der Hinweis auf die Bereitschaft, für andere Familienmitglieder zu sterben, wirkt extrem und schockierend, ist aber oft auch im übertragenen Sinne gemeint. Er bezieht sich nicht nur auf konkrete, bewusste Suizide, nicht nur auf schwere Unfälle oder Krankheiten. Ausgesprochen oft zeigt sich in Aufstellungen eine Tendenz, »zu gehen«, einem verstorbenen Angehörigen zu folgen oder für ein anderes Familienmitglied, das »hinaus« tendiert, stellvertretend selber zu verschwinden. Praktisch äußert sich das in vielfältigen Formen, das eigene Leben nicht kraftvoll und glücklich zu leben, Paarbeziehungen scheitern zu lassen oder krank zu werden. Diese blinde kindliche Liebe ist eine mächtige Kraft, aber beseelt von einer Illusion magischer Macht, die sie nicht wirklich hat: Die Bereitschaft, das schwere Schicksal einer Großmutter mit zu tragen oder den frühen Tod eines Bruders zu kompensieren, kann weder jenes Schicksal noch diesen Tod korrigieren. Hingegen hat es sehr wohl die Macht, das Leben des liebenden, aber unbewussten Stellvertreters fatal einzuschränken – und sie verleiht dem Kind ein Gefühl von Größe: »Ich, das Kind (die Kleine) kann tragen, was die Großmutter (die Große) nicht tragen kann.« Das ist nicht nur eine Anmaßung, die jeder guten Lösung im Wege steht, sondern sie verleiht dem eigenen Leiden einen Sinn und eine Größe, die der Grund dafür sein kann, dass Menschen an ihrem Leiden festhalten. Es ist die besondere Entdeckung Bert Hellingers, dass in der systemischen Verstrickung das Leiden aus Liebe heraus entsteht – und dass es durch Liebe wieder geheilt wird, wenn die Wirklichkeit erkannt und die Verstrickung gelöst wird.
Die Liebe erscheint so als die Energie für die Heilung, aber nicht mehr als für die Erkrankung. Er habe gefunden, sagt Hellinger, »dass auch hinter den Symptomen, die einer hat, immer Liebe wirkt. Daher ist entscheidend, dass man in der Therapie den Punkt findet, an dem die Liebe sich sammelt. Dann ist man an der Wurzel, und findet auch den Weg zur Lösung. Denn auch die Lösung führt immer über die Liebe.« (aus: »Ordnungen der Liebe«, S. 510). Bert Hellinger ist äußerst genau mit dem, was er sagt und wie er es sagt. Und er sagt nicht, dass die Lösung durch die Liebe oder aus der Liebe heraus geschieht; er sagt nur: ohne Liebe geht es nicht. Der Katalysator, der in den Familien-Aufstellungen aus der Liebe eine heilende Kraft macht, ist die Wirklichkeit. Und die Wirklichkeit, die in der Aufstellung sichtbar wird, ist oft überraschend. Schon das Ausgangsbild, das der Klient nach seinem Gefühl aufstellt, sieht meistens anders aus, als er sich das vorher in Gedanken zurechtgelegt hatte. Zumindest für Anfänger ist die Versuchung, es bereits vorher wissen zu wollen, bevor sie sich ihrer Intuition anvertrauen, fast unwiderstehlich. Fast unvermeidlich kommt es anders. Mit Sicherheit überraschend ist das Bild am Schluss der Aufstellung: Das Ergebnis entspricht meist nicht den Erwartungen. Es widerspricht auch oft den Wünschen der Klienten, in welche Richtung die Lösung weisen sollte. Die Botschaft, die der aufstellende Klient bekommt, das heißt die Wirklichkeit, wie sie in der Aufstellungs-Arbeit aufscheint, ist selten kuschelweich und manchmal ausgesprochen hart.
Der »harte« Hellinger
»Lieb« ist der Therapeut Bert Hellinger nicht, und mancher hat über seine Härte, mit der er mit Klienten umspringt, schon gehört, bevor er direkt etwas mit ihm erlebt, von ihm gesehen oder gelesen hat. Wie sieht das aus, wenn Hellinger so erschreckend hart mit Klienten umgeht? Vermutlich schockiert den einen dies und den anderen das. Ein Beispiel, das sich mir selbst als »hart« eingeprägt hat, ist im Video »Wo Schicksal wirkt und Demut heilt« (Band 3. 1:19-1:26) dokumentiert. Bernadette, die Klientin, benennt ihre Krankheit und schildert ihren familiären Hintergrund, zusammengefasst: »Bernadettes Mutter erkrankte nach der Flucht (aus Schlesien) an multipler Sklerose. Sie lag in Bett, magerte ab, bekam noch zwei Kinder und starb früh. Bernadette fühlt sich verantwortlich.«
Was diese nüchterne Darstellung nicht mitteilt, ist Bernadettes Bericht als lebendige Situation: Sie erzählt mit leicht zitternder Stimme, während ihr Blick auf einen unbestimmten Punkt ins Leere gerichtet ist. Sie erinnert sich, wie sie die Verzweiflung des Vaters erlebte, der die Mutter nicht retten, allerdings noch zwei Kinder mit ihr zeugen konnte. Das Erste dieser beiden stirbt, von den älteren Schwestern angesteckt, an Keuchhusten. Und sie erinnert sich, wie die Mutter des Vaters gesagt habe: »Die Resel …« – der Rest geht in Schluchzen unter. Ruhig und ohne ein Zeichen von Rührung, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, dass auf dem Stuhl neben ihm ein Mensch in seinen Tränen versinkt, ermahnt Hellinger sie: »Lass die Augen auf. Schau her. – Nein, schau her. Siehst du mich?« und, zum Publikum gewandt: »Nein, sie sieht mich nicht.« Die Klientin ist bei ihrer Erinnerung an das Erlebnis in ihrer Kindheit in das Gefühl kindlicher Hilflosigkeit abgedriftet. Nach einiger Mühe ist es heraus: »Die Resel isst unsere ganze Butter weg«, hatte die Oma gesagt. Hellinger wendet sich an Bernadette, die schon wieder in ihren Schmerz zurück sinkt und schluchzt: »Okay, wir stellen mal das System auf. Aber so kannst du nicht aufstellen«, und, mit einem Schmunzeln: »Kinder können das nicht machen.«
Bernadette wählt Stellvertreter/innen für ihre Familie und sich selbst aus. Hellinger: »Nimm jeden an die Hand und stell ihn richtig hin. Und mach es zügig!« Dann lässt er Bernadette sich wieder setzen. Das Bild der Aufstellung zeigt keine große Unordnung. Hellinger bringt ohne viel Federlesens ein paar kleine Veränderungen ein: Die Mutter einen Schritt zurück, neben den Mann. Ihr geht es dort »sehr viel besser«; auch dem Vater geht es besser, doch: »Es geht mir gar nicht so schlecht. Ich habe eine große Würde.« Hellinger sortiert nun die Kinder nach der Altersreihenfolge um und stellt das verstorbene Mädchen in die Reihe seiner Geschwister. Dann stellt er die Mutter neben ihren Mann und lässt sie zu den Kindern sagen: »Der Papa macht das schon.« Danach sagt auch der Vater: »Ich mache das schon.«
Als Hellinger die Stellvertreterin Bernadettes fragt, antwortet sie: »Das ist der beste Platz für mich. Es ist gut so.« Hellinger wendet sich an die wirkliche Bernadette und fragt: »Und was machen wir jetzt mit dem ganzen Drama?« Darauf sie: »Ich habe gar kein Gefühl.« Hellinger: »Ja. Es ist kein Drama.« Nachdem sie ihren Blick einen Moment lang über die Gruppe schweifen lässt, lässt Hellinger sie sich wieder setzen und wendet sich wieder an Bernadettes Stellvertreterin. Sie sagt: »Mir geht’s gut. Ich hab das Gefühl: Mein Herz ist offen.« Hellinger: »Genau. Sag beiden Eltern:“Ich bleibe die Kleine. Ihr seid die Großen. Ich nehme es mit Liebe“.« Er wendet sich wieder an die wirkliche Bernadette und fragt: »Was sagst du denn dazu?« Sie antwortet: »Ja, das hat mir gut getan.« Nach einem Moment sagt ihr Hellinger: »Das war’s. Okay? Gut, danke.«
»Gefühlskino« der Erinnerung
Es ist gleichzeitig der Vor- und Nachteil der sachlichen Verschriftlichung, dass die emotionale Spannung der wirklichen Situation verschwindet, ähnlich der Musik, die vom Notenblatt nicht klingt. Aus der Distanz, die so entsteht, zumal, wenn erläuternde Kommentare hinzukommen, erscheint Hellingers Verhalten nur angemessen und vernünftig, aber nicht roh und herzlos. Sicher, Hellinger war ein bisschen kurz angebunden. Er gab sich vom (Selbstmit-)Leid der Klientin unbeeindruckt. Die Art, wie er sie aus ihrer Trance in die Gegenwart holte (»mach die Augen auf«), war kurz und trocken, ebenso die Aufforderung »Mach zügig!«, womit er sie daran gehindert hat, wieder in ihr inneres Gefühlskino zurück zu sinken. Hellinger hat sie sich nicht, wie er es sonst meistens tut, selbst an ihren Platz im Schlussbild ihres Familiensystems hineinstellen und es erspüren lassen. Er hat – die stockende Erzählung davor mitgerechnet – die ganze Aufstellung in nur sieben Minuten abgewickelt! Das Dreifache an Zeit oder mehr ist üblich bei einer Aufstellung. Aber wozu – es war ja kein Drama …
Dass Bernadette Brustkrebs mit Metastasen in den Knochen hat, hatte sie nur ganz am Anfang mitgeteilt; anschließend war das kein Thema mehr. Was wiederum nicht so verstanden werden darf, dass der Krebs nach der Aufstellung verschwinden müsste. Vielleicht ist er fortgeschritten, vielleicht wird sie daran sterben. Was sich in der Aufstellung aufgelöst hat, ist der Zwang, sich verantwortlich zu fühlen: Erstens für den Tod der infizierten Schwester und zweitens (an Stelle des vermeintlich zu schwachen Vaters) auch noch für die sterbende Mutter. Unabhängig davon, ob Bernadette an Krebs stirbt oder nicht, kann sie die Zeit bis dahin bewusster, mehr im Hier und Jetzt leben, statt im Gefühlskino der Erinnerung, wo die Mutter immer noch auf dem Krankenbett dahinsiecht und von der Schwiegermutter gedemütigt wird. Dass sich in der Aufstellung etwas gelöst hat, ist offenkundig: Bernadettes Stellvertreterin hatte in der Schlussaufstellung mitgeteilt, sie fühle »ihr Herz offen«. Die Frage ist, ob Bernadette diese Lösung auch annimmt. Das ist ihre Freiheit.
Der Wirklichkeit ins Auge schauen
Viele Klienten kommen bei Hellingers Klarheit und Entschiedenheit oder auch Härte ins Schleudern. Nach einer Aufstellung, die offenbarte, dass es beiden Partnern einer Ehe besser geht, wenn sie sich trennen, beschwert sich ein Teilnehmer bei Hellinger: »Die letzten Sätze, als die beiden da saßen und du ihr sagtest: „Das lässt sich nicht lösen“, und ihm gesagt hast,“du musst sie gehen lassen und die Kinder nehmen“, schnürt sich bei mir etwas zu. Ich merk’, ich bin total sauer auf dich, dass du ihr das sagst. Dass du die Frechheit hast, zu sagen,“das lässt sich nicht lösen“.« Hellinger: »Ich hab das eben gesehen. Hast du etwas anderes gesehen als ich? Hast du hingeschaut?« Der Teilnehmer, nach einem Moment des Überlegens: »Nein, ich hab schon das Gefühlt, dass das stimmt. Aber ich identifiziere mich sehr mit ihr, und ich kann das nicht gut aushalten.« Hellinger: »Das ist die Wirklichkeit, ja? Und ich hab keine Angst davor. Denn wenn etwas hilft, ist es nur die Wirklichkeit: ihr ins Auge zu schauen, wie sie ist. Sonst ist man im Wolkenkuckucksheim, und da gibt es sowieso keine Lösungen. Aber auf der Erde gibt es sie noch, manchmal. Einverstanden?« (aus: »Wie Liebe gelingt«, Bd. I, 1:50ff). Natürlich gibt es die Versuchung, den Klienten, der sowieso schon so leidet, mitleidig zu schonen, ihn zu pampern – was freilich heißt, ihn von der Wirklichkeit abzuschirmen und in seiner Selbsttäuschung und Verstrickung zu belassen. Doch wie viel Wirklichkeit kann man ihm zumuten? Gegen Mitleid verwahrt sich Hellinger nicht bloß aus pragmatischen Gründen, etwa weil der Therapeut klar sehen muss, während Tränen in den Augen den Blick trüben. Es ist für ihn eine grundlegende Frage, denn im Mitleid sieht er auch eine Überheblichkeit, die den Erfolg der Arbeit behindert: »Wenn Therapeuten Mitleid haben mit Klienten, ist es eine Anmaßung. Es gibt aber eine Art des Mitleids, die ist anders. Dann sage ich dem Klienten:“Ich bin bei dir, neben dir, was immer du leidest“. Dann bewahrt der seine Würde. Ich glaube, ich habe das hier [in der diskutierten Aufstellung] auch demonstriert: wie heilsam das ist, wenn einem sein Leid mit Achtung zugemutet wird.« Die Wirklichkeit, die bewusst erkannt wird, kann also nicht zu schwer oder zu hart sein. Selbst wenn es um traumatische Ereignisse geht, sind es die Bilder der Erinnerung, die zu schwer und zu hart sind. Aber Erinnerungen sind nicht Realität, sondern Gefühlskino. Deswegen versucht Hellinger zu verhindern, dass seine Klienten dorthin abdriften.
Und doch haben Gefühle beim Familienstellen eine große Bedeutung: Sie müssen wahrgenommen und ausgedrückt werden. Die an die Stellvertreter/innen gerichtete Frage: »Wie fühlst du dich an diesem Platz?« ist mit das wichtigste Handwerkszeug bei dieser Arbeit. Doch vermeidet es Bert Hellinger, dabei in die Dramen hinein zu gehen. Sobald jemand in der Aufstellung zu schluchzen anfängt, wird er von Hellinger gestoppt: »Nein, nein, mach es ohne Ton. Tief atmen, aber ohne Ton.« Oder wenn jemand einen vorgegebenen Satz (etwa »Ich lasse dich ziehen«) mit tränenerstickter Stimme stammelt, wird er aufgefordert: »Sag es mit ganz normaler Stimme.« Umgekehrt kommt es vor, wenn etwa der Protagonist, dessen Anliegen bearbeitet wird, in das aufgestellte Bild hinein genommen wird, seine Gefühle unterdrückt, dass Bert Hellinger dann auffordert: »Sag es lauter! Sag es richtig böse! Noch lauter! Gut.« Er treibt es so weit voran, bis das Gefühl, das einer Situation gemäß ist, gefühlt werden kann. Aber er lässt die Gefühle nicht Regie übernehmen.
Auch die typischen Umarmungs-Szenen, wenn die gute Lösung zustande kommt, gehen bei Bert Hellinger selten weiter, als bis der Klient spüren kann: »Ja, jetzt, so ist es gut.« Dann kommt Hellingers »Danke, das war’s.« Das ist nun zum Teil Bestandteil der Methode, zum Teil Hellingers persönliche Eigenart. Ich habe auch Familiensteller erlebt, die diesen Moment extensiv auskosteten und dazu den Kasettenrecorder mit sanfter Musik einschalteten. Da ich bis dahin nur jene strenge, ja rigorose Form des Familienstellens gekannt hatte, war ich etwas irritiert, es auf diese Weise zu erleben. Aber ich gebe gerne zu: Es geht auch so.
Dem zustimmen, was ist
Hellinger ist, wie gesagt, ein äußerst genauer Sprecher; man achte bei ihm stets auf die Feinheiten. So, wie er sagt, dass es heilsam ist, wenn einem sein Leid mit Achtung zugemutet wird, spricht er auch über die Wirkung der Liebe im therapeutischen Prozess. So etwa im Gespräch mit Gabriele ten Hövel (aus: »Anerkennen, was ist«, S. 58): »Was immer abläuft, im Guten wie im Bösen, gehört in einen großen Zusammenhang. Ich kann beidem zustimmen, ohne dass ich eingreife. Diese Sichtweise ist die friedlichste, die ich kenne.« ten Hövel: »Also nicht nur die Welt nicht verändern, sondern der Welt so zustimmen, wie sie ist.« Hellinger: »Genau, mit Liebe.«
Auch in der konkreten therapeutischen Situation gibt Hellinger nicht nur jene »Sätze der Kraft« vor, die der Stellvertreter dann nachspricht, etwa »Ich lasse die Kinder bei dir«; er ergänzt sie um den Nachsatz: »… mit Liebe.« Denn unabhängig von der Vielschichtigkeit dessen, was sich hinter dem Wort Liebe verbirgt – kindliche oder elterliche Liebe, Verliebtheit, erwachsene Partnerliebe, Liebe als nicht objektgebundene innere Haltung – kann jeder ganz einfach spüren, ob ein Satz mit Liebe gesprochen ist oder nicht und das ist für seine Wirksamkeit entscheidend.
Nicht nur die kindliche Liebe zu seinem Herkunftssystem, auch die Liebe unter erwachsenen (Ehe-) Partnern ist stets mit Bindung gekoppelt, so wie umgekehrt Bindung zwischen Mann und Frau entsteht, wenn der sexuelle Akt in Liebe vollzogen wird. Die Liebe des Therapeuten ist eher von der Art, wie sie auch die großen spirituellen Meister wie Osho oder Shanti Mayi beschreiben: eine überfließende Freundlichkeit, die nichts und niemand Bestimmtes meint. Sie ist absichtslos und stimmt der Welt zu, wie sie ist. Sie stimmt auch dem Klienten zu, wie er ist – unabhängig auch davon, ob er die Lösung annimmt oder nicht. Hellinger sagt dazu: »Liebe kommt aus dem Tun und aus der Erfahrung von eigenen Grenzen. Diese Liebe ist im Grunde nur ein Anerkennen, dass es in den Unterschieden bei allen eine tiefe Gemeinsamkeit gibt. Als tiefste Liebe wird erlebt, wenn jemand so, wie er ist, anerkannt wird, und zwar als notwendig so. Er kann gar nicht anders sein. So ist er richtig. Obwohl er anders ist als ich und ich anders bin als er, anerkennen wir uns beide als richtig. Das ist die eigentliche Liebe. Nicht, dass ich jemanden umarme oder so. Das wäre sehr vordergründig.« (aus: »Anerkennen, was ist«, S. 58). Diese absichtslose Liebe (oder liebevolle Absichtslosigkeit) nennt Hellinger eine Liebe höherer Ordnung. Auf einer höheren Ebene, auch das zeigen die Aufstellungen, kommt selbst hinter der Bindung zwischen Mordopfern und -tätern wieder Liebe hervor, während eine solche Tat auf der unteren Ebene die Bindung an die eigene Familie zerstört. Die Unterscheidung von unterer und höherer Ebene bedeutet keine Wertung – selbst wenn es eine strebende Entwicklung von unten nach oben gibt. Beide haben an ihrem Ort gleichermaßen Bedeutung und Berechtigung.
Das gilt auch für die helfende Zuwendung. »Es gibt eine Zuwendung, die sich hineinstürzt, und eine, die nicht sofort eingreifen will, eine Zuwendung oder Liebe höherer Ordnung. Nicht dass die eine besser als die andere wäre; beide haben ihren Platz und ihre Zeit. Die Zuwendung höherer Ordnung braucht als Grundlage das Wohlwollen aus einer gewissen Distanz, ein“den Anderen sein lassen“. In der Regel gibt es diese Art der Zuwendung nicht ohne die Erfahrung der anderen, direkten, konkreten Zuwendung. Umgekehrt fehlt der direkten Zuwendung oft die Kraft und die Ausdauer ohne die Zuwendung höherer Ordnung.« (aus: »Finden, was wirkt«, S. 51f). Bei Bert Hellinger wird man eine Aussage wie »Liebe heilt« nicht finden. Von Liebe ist bei ihm immerzu die Rede, sie ist Stichwort im Titel vieler seiner Kurse und Dokumentationen. Jedoch setzt Hellinger nicht Liebe mit Heilung gleich. In einem seiner Buchtitel gibt er dennoch einen Hinweis auf heilende Kräfte: »Wo Schicksal wirkt und Demut heilt.«
Die Zitate Hellingers stammen aus folgenden Büchern:
Bert Hellinger:»Ordnungen der Liebe.« Ein Kursbuch, Heidelberg (Carl-Auer-Systeme Verlag) 1994 (553 S., 59,80 DM).
Bert Hellinger/Gabriele ten Hövel: »Anerkennen, was ist. Gespräche über Verstrickung und Lösung.« München (Kösel-Verlag) 1996 (198 S., 35,90 DM).
Bert Hellinger: »Die Mitte fühlt sich leicht an. Vorträge und Geschichten.« München (Kösel-Verlag) 1996 (237 S., 35,90 DM).
Bert Hellinger/Johannes Neuhauser: »Wie Liebe gelingt. Die Paartherapie Bert Hellingers«. Video, 5 Bände, Heidelberg (Carl-Auer-Systeme Verlag) 1999 (12 Std., 348 DM). Auch als Buch, 358 S., 48 DM.
Bert Hellinger: »Finden, was wirkt. Therapeutische Briefe.« München (Kösel-Verlag) 1993 (191 S., 28,40 DM).
Dieser Artikel ist erschienen in: connection spezial „Liebe heilt“ 2000 IV/00
von Jayin Gehrmann